Liebe Frau Senatorin Kiziltepe,
mit dem Beschluss der Konferenz der Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder vom 31.01.2024 zur Erarbeitung eines Modells für die Einführung einer Bezahlkarte mit bundeseinheitlichen Mindeststandards wurde das Fundament für ein Überwachungs- und Diskriminierungsinstrument geschaffen, welches auf tiefgreifende verfassungsrechtliche Bedenken stößt1.
Wie erwartet hat der bayrische Ministerpräsident den restriktiven Überbietungswettbewerb eröffnet und somit einmal mehr zu einer destruktiven Verschiebung des Diskurses beigetragen. Im Bundestag fordern Parlamentarier der CDU/CSU-Fraktion bereits die Ausweitung des Konzepts Bezahlkarte auf weitere Bereiche des Sozialsystems2. Nur hilft Evidenzen ignorierende Symbolpolitik in der Sache nicht weiter. Anstatt verfassungswidrige Einschränkungen und Verbote in die Diskussion einzuführen, braucht es pragmatische Ansätze, welche zum einen die Verwaltung entlasten und zum anderen die Grundrechte der Betroffenen wahren.
Das Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen (BNS) zeigt sich ob Ihrer klaren, grundsätzlichen Ablehnung der Bezahlkarte erfreut und unterstütztIhre Haltung in der Sache ausdrücklich. Denn gerade für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen bedeutet die Einführung einer Bezahlkarte die konkrete Gefahr, die in der Aufnahme- und Verfahrensrichtlinie verankerten Garantien nicht vollumfänglich in Anspruch nehmen zu können3.
Für Berlin braucht es eine sachliche und zielgerichtete Lösung, welche die stadtpolitischen Realitäten, die Herausforderungen der Verwaltung und die Menschenrechte der Betroffenen gleichfalls berücksichtigt. Der Ausgleich zwischen erforderlicher Effizienzsteigerung der Verwaltung auf der einen und den Rechten der betroffenen Menschen auf der anderen Seite ist leistbar, ohne dabei auf die einfachen und populistischen Losungen hereinzufallen und so in den Kanon rechtspopulistischer Forderungen einzustimmen.
Berlin muss dafür bei der Frage der Leistungsgewährung für Asylantragstellerinnen weiterhin einen mutigen und progressiven Weg beschreiten. Der Zugang zu Bankkonten, Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie zu Sportangeboten muss niederschwellig nutzbar sein. Besondere Vergünstigungen müssen in Anspruch genommen werden können. Stadtgesellschaftlich- und politisch darf Berlin aber hier nicht stehen bleiben. Der Berliner Senat hat bereits ein Gutachten zur Prüfung der Berlin-City-ID-Card in Auftrag gegeben. Das Ergebnis wird für Juli 2024 erwartet. Das Gutachten muss die Grundlage für die weiteren politischen Entscheidungen sein. Was es braucht, ist ein progressives Berliner Modell zur Leistungsgewährung für Asylantragstellerinnen.
Deswegen fordern wir:
Die Einhaltung aller datenschutzrechtlicher Voraussetzungen wird sichergestellt.
Berlin steigt aus dem länderübergreifenden Vergabeverfahren zur Einführung einer Bezahlkarte für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz aus.
Anstatt der Bezahlkarte für Asylantragstellerinnen erhalten alle nach Berlin zugewiesen Asylantragstellerinnen ein Basiskonto4.
Die technische Ausstattung der Debitkarte ist so zu gestalten, dass nachstehende Kriterien erfüllt werden:
- o Die Debitkarte dient gleichfalls auch als Berechtigungsnachweis.
- o Die Debitkarte dient gleichfalls als BVG-Kundenkarte.
- o Die Debitkarte dient bis zur Aushändigung der eGK als Behandlungsausweis5 ggü. medizinischen Leistungserbringern.
Es gibt keine Beschränkungen der Debitkarte.
Es gibt kein Auslesen von Bewegungsdaten.
Schaffung der technischen Voraussetzungen, um in Abhängigkeit des Ergebnisses des Gutachtens zur Prüfung der Berlin-City-ID weitere Funktionen freischalten zu können.
Die vorstehenden Maßnahmen haben auf der einen Seite eine erhebliche Effizienzsteigerung in den Verwaltungsabläufen nebst der immanenten Vorteile zur Folge und wahren die Grundrechte der Leistungsempfängerinnen auf der anderen Seite. Zudem setzen die vorgeschlagenen Maßnahmen der diskursiven Hegemonie der Rechtspopulistinnen eine progressive und gleichfalls pragmatische, richtungsweisende politische Entscheidung und Erzählung entgegen, welche sich an den stadtpolitischen Realitäten, den verwaltungsinternen Notwendigkeiten und den Bedürfnissen der Betroffen orientiert. Zudem berücksichtigen die Maßnahmen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, indem sie die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde einer Relativierung aus migrationspolitischen Erwägungen nicht preisgeben6.
Im Sinne einer effizient arbeitenden Verwaltung wird durch die vorgeschlagenen Maßnahmen zudem der unverhältnismäßigen Kostensteigerung im Rahmen der Leistungsgewährung via Bezahlkarte vorgebeugt. Herausforderungen und wesentliche Fragestellungen, wie beispielsweise die Umstellung der Leistungsgewährung bei Zuständigkeitswechsel, treten bei der vorgeschlagenen Lösung nicht auf.
Im Sinne der in Berlin ankommenden Menschen hoffen wir, dass unsere Forderungen in der Entscheidung Berücksichtigung finden. Die Einschränkungen für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen durch Einführung einer Bezahlkarte entsprechend des Beschlusses der Konferenz der Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder erörtern wir gerne in einem persönlichen Gespräch.
Im Auftrag des Berliner Netzwerks für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen (BNS)
gez. Nicolay Büttner Politische Arbeit und Advocacy Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen (BNS) Tel.: +49 159 01490397 n.buettner@ueberleben.org